Röderberg 10


Hier wohnte Otto Czech

Otto Czech wurde am 17. Juli 1920 als Sohn von Otto und Bertha Anna Czech geboren. Der Vater arbeitete als Schädlingsbekämpfer, die Mutter als Schneiderin. Infolge einer komplizierten Geburt habe Otto Czech jun. laut Krankenakte an seltenen epileptischen Anfällen gelitten, die sein Leben nach Angabe der Eltern jedoch nicht beeinträchtigt hatten. Ungehindert übte er einen Beruf aus, bis er 1940 einer Untersuchung zur Militärdiensttauglichkeit unterzogen wurde, von wo er umgehend zu weiterer Beobachtung in die Heilanstalt Altscherbitz überwiesen wurde.
Die Eltern besuchten ihren Sohn regelmäßig und waren entsetzt über die dortige Behandlung der Patienten. So sei „die Behandlung durch die Pfleger schlecht“ gewesen. „Schlagen und Treten sowie Werfen mit Gegenständen nach den Kranken war an der Tagesordnung. Beschädigte und blutunterlaufene Körperstellen habe [der Vater an seinem] Sohn selbst gesehen.“ Beschwerden darüber hatten lediglich die Beschränkung der Besuchszeiten für die Angehörigen zur Folge.

Otto Czech war sich des Ernstes seiner Lage in der „Landesheilanstalt” wohl durchaus bewusst. Im Januar 1941 berichtete er seinen Eltern „von einem Autobus, der in bestimmten Zeitabständen Kranke aus der Heilanstalt abholte und von denen dann 14 Tage später die Urnen zurückkamen.“ Auch anderen Patienten sei dies auffällig erschienen. Kurz nach dieser Schilderung gegenüber seinen Eltern wurde auch Otto Czech von einem solchen Bus abgeholt. Den Eltern wurde auf Nachfrage gesagt, das Krankenhaus sei kriegsbedingt verlegt worden. Der Vater fuhr daraufhin persönlich nach Berlin zu „Dr. Lind“ (wahrscheinlich handelt es sich hierbei um Herbert Linden vom Reichsministerium des Inneren und wesentlicher Organisator der „Aktion T4“), um ihm seine Befürchtungen vorzutragen. Dieser wiegelte ab und versuchte den Vater zu beruhigen, was ihm nicht gelang.
Otto Czech sen. fuhr nicht nur wiederholt zum Ministerium, er sprach auch in der Reichskanzlei vor, wo das Gespräch heimlich, aber von Otto Czech nicht unbemerkt, auf Schallplatte aufgenommen worden sei.

Auch die in Berlin lebende Schwester Otto Czechs, Emma, war in die Suche nach dem Verbleib des Bruders einbezogen. Sie fand heraus, dass er in die Heilanstalt Hartheim bei Linz (Österreich) gebracht worden sei, wohin sich die Eltern umgehend auf den Weg machten. Als sie am 31. Januar 1941 früh um 9 dort ankamen, teilte ihnen ein Mitarbeiter mit, dass ihr Sohn am vorigen Tag kurz vor Mitternacht verstorben sei. Die Bitte der Eltern, den Leichnam ihres Sohnes zu sehen, wurde mit der Begründung abgelehnt, dass es aus Gründen des Infektionsschutzes bereits zur Einäscherung gekommen sei. Nach eigenen Angaben sei dem Vater nun bewusst gewesen, dass sein Sohn „keines natürlichen Todes gestorben sei.“ Er beschwerte sich gegenüber dem Anstaltsmitarbeiter, zerriss seine Mitgliedskarte der NSDAP, bis der Mitarbeiter eine Waffe zog. Eingeschüchtert und resigniert trat das Ehepaar Czech den Rückweg nach Halle an, wobei sie ein Mitarbeiter der Anstalt bis in den Zug verfolgt habe.

14 Tage nach der Deportation des 20-jährigen Otto Czech traf dessen angebliche Urne und ein Brief der „Landesanstalt” Hartheim bei den Eltern ein. Laut diesem Schreiben starb Otto unerwartet an einer „Angina mit nachfolgender Sepsis“. Tatsächlich war Otto Czech bereits am 24. Januar 1941 in die „Heilanstalt” Bernburg gebracht und in einem als Dusche getarnten Raum mit Gas ermordet worden.

Weitere Informationen

Gemeingefährlich. Psychiatrie im Nationalsozialismus
Ein Film von Carolin Schneider und Kristin Zimmermann (2015, 10 Min)
Entstanden im Rahmen des Projekts „Stolpersteine – Filme gegen das Vergessen“ des Masterstudiengangs MultiMedia & Autorschaft der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 2015