Paul-Suhr-Straße 106


(ehemals Friedrich-Ebert-Straße /NS-Zeit Paul-Berck-Straße)

Hier wohnte Ernst Stößel

Ernst Stößel wurde am 24. Februar 1882 geboren.
Der Dreher bekannte sich zu den Zeugen Jehovas. Die Religionsgemeinschaft (bis 1931 unter dem Namen „Bibelforscher“ bekannt) verweigerte jede Zusammenarbeit mit dem Staat, u. a. auch Hitlergruß und Wehrpflicht, und wurde 1933 verboten. Die Zeugen Jehovas verteilten am 12. Dezember 1936 deutschlandweit eine Resolution, die neben religiösem Bekenntnis auch auf ihre Verfolgung aufmerksam machte: „… wir rufen alle gutgesinnten Menschen auf, davon Kenntnis zu nehmen, dass Jehovas Zeugen in Deutschland […] grausam verfolgt, mit Gefängnis bestraft […] misshandelt und manche von ihnen getötet werden …“ Allein in Halle wurden 4.000 Exemplare dieses Textes verteilt.
Die „Hallischen Nachrichten“ berichteten am 13. Mai 1937 „ … erfreulicherweise hat [kürzlich] das Sondergericht durchgegriffen und 23 dieser Unbelehrbaren zu empfindlichen Gefängnisstrafen verurteilt […] Kein Staat kann sich eine derartige Missachtung seiner Gesetze und Verbote gefallen lassen, um so weniger, wenn es sich um so gefährliche dunkle Machenschaften handelt, die sich jeder deutsche Volksgenosse verbitten muß.“

Ernst Stößel war unter den 23 Verurteilten und erhielt eine 3-jährige Gefängnisstrafe nach deren Verbüßung er ins KZ Neuengamme deportiert wurde. Im Mai 1945 räumte die SS das Lager und sperrte 9.000 Häftlinge auf drei Schiffen ein. Am 3. Mai 1945 wurden zwei der Schiffe von britischen Jagdbombern getroffen. Ernst Stößel ertrank beim Untergang des Schiffes „Thielbeck“. Er war 63 Jahre alt.

Die Verfolgung der Zeugen Jehovas ging ab 1950, nach einem erneuten Verbot, auch in der DDR weiter und endete erst 1990, als die erste frei gewählte Volkskammer der Religionsgemeinschaft das Recht der freien Ausübung ihres Glaubens zurückgab. Über 50 Zeugen Jehovas verstarben in DDR-Gefängnissen.
Heute sind die Zeugen Jehovas gleichberechtigt mit anderen Glaubensgemeinschaften als Religionsgemeinschaft öffentlichen Rechts anerkannt.