Landsberger Straße 65


Hier wohnte die Familie Max (Meyer) Brilling, Anna Brilling geb. Bennigsohn, Bruno Brilling und Regina Brilling geb. Mayer und Lieselotte Brilling

Max (Meyer) Brilling (*11.11.1873 in Lusche/ Luže) war verheiratet mit Anna geb. Benningsohn (*3.11.1874). Das Ehepaar hatte acht Kinder: Selma (1898), Simon (1899), Julius (1903), Bruno (1904), Hugo (1907), Martin (1909-1915), Erna (1910) und Ellen Ruth (1910). Die Familie lebte viele Jahre in Ostpreußen, wo Max Brilling eine Pferdehandlung etablierte. Diese führte Sohn Julius weiter, während Max Brilling nach Halle zog und die "Pferdehandlung vorm. Luis Reimann" in der Landsberger Straße 65 eröffnete. Hier wohnten er und seine Ehefrau Anna auch.

Sohn Bruno Brilling heiratete 1930 Regina genannt Rina Mayer (*1909 in Bierstadt bei Wiesbaden). Ein Jahr nach der Hochzeit wurde Tochter Lieselotte geboren. Die Familie zog von Ostpreußen zu den Eltern nach Halle, wo der Textilkaufmann ein eigenes Gewerbe anmeldete. Im Januar 1939 gelang der Familie zwar noch die Flucht von Halle nach Belgien, doch dort wurden Bruno und Rina verhaftet und durchliefen mehrere Internierungslager bis sie am 14. August 1942 vom berüchtigten Sammellager Drancy (bei Paris) nach Auschwitz deportiert wurden. Der 37-jährige Bruno starb dort am 7. September 1942, die 32-jährige Regina Brilling am 13. September 1942.

Ihre Tochter Lieselotte gelangte über mehrere Stationen in Europa in die USA. Hier heiratete sie Morris Samuel Fishback und bekam mit ihm zwei Kinder. Lieselotte genannt Lilo Fishback starb 1982 in New Jersey. Ihre Geschichte ist weiter unten auf dieser Seite zu finden.

Max und Anna Brilling, die zwischenzeitlich nach Berlin gezogen waren, wurden am 26. August 1942 nach Theresienstadt und am 16. Mai 1944 nach Auschwitz deportiert, wo der 69-Jährige und die 68-Jährige ermordet wurden.

Tochter Selma heiratete 1925 Felix Ruben, ein Jahr später kam Tochter Inge zur Welt. Die Familie konnte flüchten. Selma starb 1988 in Australien. Die Söhne Julius und Simon retteten sich vor der Verfolgung nach Palästina. Dort starb Simon 1981.

Sohn Hugo lebte in Berlin, wo er 1939 Ellen Ruth Schott heiratete. Noch im selben Jahr flüchtete das Ehepaar in die USA. Dort wurden ihre Kinder geboren. Hugo starb 1973 in Washington.

Tochter Erna heiratete 1935 in Berlin Herbert Grimmig. Sie flüchtete nach Shanghai und bekam dort Tochter Margaret. Später ging sie nach Australien, wo sie 1959 Simon Julius Winnitzer heiratete. Sie starb 2009 in Australien.

Tochter Ellen Ruth heiratete in Berlin, wo auch Sohn Martin und zwei weitere Kinder zur Welt kamen. Über ihre erfolgreiche Flucht ist nichts bekannt. Sie verstarb in Chile.

Lieselotte Brilling wurde 1931 in Gumbinnen, Ostpreußen geboren. Ihre Eltern, Regina (*1910) und Bruno Brilling (*1905) zogen nach Halle als Lieselotte noch sehr klein war. Hier lebten sie bei Brunos Eltern, Anna (*1874) und Max Brilling (*1873), die schon in den 1920er Jahren nach Halle gekommen waren.
Lieselottes Großvater Max Brilling führte hier, wie zuvor auch in Ostpreußen, einen Pferdehandel. Das Geschäft war im Hinterhof des Wohnhauses Landsberger Str. 65, wo lange Zeit noch die ehemaligen Ställe zu sehen waren. Lieselottes Großeltern zogen Anfang der 30er Jahre nach Berlin, hatten hier in Halle aber noch ihr Geschäft. Bruno Brilling, Lieselottes Vater, war Textilkaufmann.

Lieselotte wurde 1937 in Halle eingeschult. Zur Schule ging sie jedoch nur kurz. Denn im Zuge der Novemberpogrome gegen Juden, ihre Synagogen und Geschäfte 1938 verkündete der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Bernhard Rust:

„Nach der ruchlosen Mordtat von Paris kann es keinem deutschen Lehrer und keiner deutschen Lehrerin mehr zugemutet werden, an jüdische Schulkinder Unterricht zu erteilen. Auch versteht es sich von selbst, daß es für deutsche Schüler und Schülerinnen unerträglich ist, mit Juden in einem Klassenraum zu sitzen. Die Rassentrennung im Schulwesen ist zwar in den letzten Jahren im allgemeinen bereits durchgeführt, doch ist ein Restbestand jüdischer Schüler auf den deutschen Schulen übriggeblieben, dem der gemeinsame Schulbesuch mit deutschen Jungen und Mädeln nunmehr nicht weiter gestattet werden kann. Vorbehaltlich weiterer gesetzlicher Regelung ordne ich daher mit sofortiger Wirkung an: Juden ist der Besuch deutscher Schulen nicht gestattet. Sie dürfen nur jüdische Schulen besuchen. Soweit es noch nicht geschehen sein sollte, sind alle zur Zeit eine deutsche Schule besuchenden jüdischen Schüler und Schülerinnen sofort zu entlassen. […]“
Schon 1933 hatte die Regierung mit dem „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“ festgelegt, dass nur noch 5% aller Schüler „nicht-arisch“ sein dürfen, bei Neueinschulungen galt eine Quote von 1,5%. In Städten, wo es jüdische Schulen gab, konnten Kinder dorthin ausweichen, doch die jüdische Gemeinde in Halle war vergleichsweise klein, hier gab es eine solche Schule nicht.
In der Pogromnacht am 9. November 1938 ging auch in Halle die Synagoge in Flammen auf, zahlreiche jüdische Männer wurden verhaftet und in Konzentrationslager gebracht. Spätestens jetzt entschlossen sich Regina und Hugo Brilling mit Lieselotte zur Flucht. Im Januar 1939 gelangten sie nach Belgien. Hier wurden Regina und Bruno Brilling jedoch nach dem Überfall Deutschlands auf Belgien, die Niederlande und Luxemburg, der genaue Zeitpunkt ist unbekannt, gefasst und im Internierungslager Les Milles (Bouche-du-Rhône) interniert.
Von dort wurden sie in das berüchtigte Lager Drancy bei Paris gebracht und am 14.08.1942 weiter nach Auschwitz deportiert. Der 37-jährige Bruno starb dort am 7. September 1942, die 32-jährige Regina Brilling am 13. September 1942.
Es lässt sich nicht genau rekonstruieren, wie es geschah, doch Lieselotte wurde gerettet. Vermutlich über Kontakte der Eltern zur Résistance, der französischen Widerstandsbewegung, konnte sie am 9. Januar 1943 von Lissabon/Portugal aus mit dem Schiff Serpa Pinto in die USA entkommen. Sie erreichte Philadelphia/Pennsylvania am 27. Januar 1943. In den Schiffspapieren war Marseille in Frankreich als ihr letzter Aufenthaltsort in Europa angegeben.

In New York City wurde sie mit großer Wahrscheinlichkeit von einer der dort ansässigen Hilfsorganisationen versorgt, die in dieser Zeit aus Europa ankommende, jüdische Kinder betreute. Diese Kinder wurden häufig in Pflegefamilien vermittelt. In New York besuchte sie mindestens bis 1948 die Brooklyn Preparatory School.

Danach konnte Lieselotte nach Spokane/Washington zu ihrem Onkel Hugo Brilling und seiner Frau Ruth und deren zwei kleinen Kindern ziehen. Hugo und seine Frau waren schon 1939 in die USA geflohen. Wie und wann Hugo Brilling seine Nichte fand oder Lieselotte ihren Onkel Hugo, lässt sich heute nicht mehr ermitteln.

Lieselotte besuchte nun in Spokane die Lewis and Clark Highschool und arbeitete danach für die Eastern Outfitting Company – ein Bekleidungsunternehmen. Sie trat damit gewissermaßen in die Fußstapfen ihres Vaters.
Am 15. August 1950 heiratete sie den gebürtigen US-Amerikaner Morris Samuel Fishback (*1928, † 1999) und bekam mit ihm zwei Kinder. Mit deren Namen Gary Brian und Gail Regina ehrte sie das Andenken ihrer ermordeten Eltern Regina und Bruno Brilling.

Lieselotte - Lilo - Fishback starb am 3. Oktober 1982 mit 51 Jahren an einer schweren Krankheit in New Jersey.

Quellen und weitere Informationen

Fotos: Aus Familienbesitz der Nachfahren

Hallesches Adressbuch
Berliner Adressbuch

Recherchen zur Familiengeschichte übersandt an den Zeit-Geschichte(n) e.V. von Natalie Levinson (USA), verwandt mit Lieselottes Großmutter Anna Brilling geb. Bennigsohn sowie Christian Baer (Chile), Nachfahre von Ellen Ruth Brilling, Schwester von Lieselottes Vater Bruno Brilling.

Stolpersteine für Anna und Max Brilling in Berlin
Für Max und Anna Brilling liegen Stolpersteine in Halle und Berlin. In beiden Städten hatten die beiden ihren Wohnsitz. Zum Zeitpunkt der Verlegung war das noch unbekannt.

Stadtarchiv Halle (Saale), Nachlass Gudrun Goeseke

Volkhard Winkelmann und ehemaliges Schülerprojekt "Juden in Halle" des Südstadt-Gymnasiums Halle (Hrsg.): Unser Gedenkbuch für die Toten des Holocaust in Halle. 3. Auflage (2008)
Eintrag zu Max Brilling
Eintrag zu Anna Brilling
Eintrag zu Bruno Brilling

Gedenkbuch des Bundesarchivs für die Opfer des nationalsozialistischen Judenverfolgung in Deutschland (1933-1945)

Jahrbuch der Lewis and Clark Highschool Spokane Chronicle

Weisung des Reichserziehungsministers Rust vom 15. November 1938

Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Akten zur Enteignung der Berliner Juden. Online abrufbar über https://blha-recherche.brandenburg.de/volltextsuche.aspx
(In die Suche Max Brilling eingeben und Digitalisat aufrufen, Akte mit 264 Seiten)

Gedenkbuch des Bundesarchivs für die Opfer des nationalsozialistischen Judenverfolgung in Deutschland (1933-1945)
Eintrag zu Max Brilling
Eintrag zu Anna Brilling
Eintrag zu Bruno Brilling
Eintrag zu Regina Brilling