Kleine Gosenstraße 6

(ehemals 2)

Hier wohnte Emil Lange

Karl Emil Lange wurde am 28. März 1891 in Halle geboren. Sein Vater Emil Lange war Arbeiter, seine Mutter Friederike Lange geb. Becker als Hausmädchen tätig. Die Familie war evangelischen Glaubens.
Nach dem Besuch der nur sechsjährigen Volksschule lernte Emil Lange bei der Firma C.A. Callm in Diemitz den Beruf des Drehers.

Mit 16 Jahren trat er dem Deutschen Metallarbeiterverband, dem Vorläufer der IG Metall und der SPD bei. In seiner Freizeit spielte der großgewachsene, junge Mann Fußball im Arbeitersportverein „Olympia“.

Am Heiligabend 1914 heiratete Emil Lange die in Kröllwitz geborene Martha Wiedau, mit der er drei Töchter bekommen sollte.

1917 wurde der junge Familienvater in den Ersten Weltkrieg geschickt. Danach arbeitete er wieder in seinem Lehrbetrieb, in dem er 1922 Betriebsratsvorsitzender wurde.
Lange war vielseitig engagiert. Er war Kassierer und später 2. Vorsitzender der halleschen SPD, Kassierer des lokalen Deutschen Metallarbeiterverbandes sowie Schöffe. Viele Abende verbrachte er bei Sitzungen und Versammlungen.

Spätestens seit Mitte der 1920er Jahre hielt er als einer der Treuhänder das Eigentum am Volkspark. Weil die SPD als nichtrechtsfähiger Verein nicht direkt Eigentum besitzen durfte, musste das große Volkshaus von Treuhändern verwaltet werden. Diese Treuhänderschaft war eine Vertrauensfunktion, die Langes zentrale Position in der halleschen SPD verdeutlicht.

1929 wurde Emil Lange in die hallesche Stadtverordnetenversammlung gewählt. Die darauf folgende Kommunalwahl am 12. März 1933 fand bereits nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten statt. Dennoch wurde Emil Lange, gemeinsam mit fünf anderen Sozialdemokraten, wiedergewählt. Die konstituierende Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am 11. April 1933 war vermutlich Langes letzte. Während den Kommunisten ihre Mandate sofort aberkannt wurden, geschah dies mit den Mandaten der Sozialdemokraten auf der dritten Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am 6. Juli 1933. Daran nahmen die Stadtverordneten der SPD bereits nicht mehr teil. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands war im Juni verboten worden.

Lange litt unter der Isolation nach der Liquidierung der Partei und ihrer Organisationen, die einen beträchtlichen Teil seines Lebens ausgemacht hatten. Umso mehr wandte der Vater dreier Töchter sich in den folgenden Jahren der Familie zu. Ursula, die jüngste Tochter, beschrieb einen herzlichen, zugewandten Vater und humorvollen Familienmenschen.

Am 22. August 1944 wurde Emil Lange am Arbeitsplatz verhaftet. Kollegen erzählten der Familie später, er sei von Drehbank zu Drehbank gegangen und habe sich von jedem seiner Kollegen verabschiedet.

Langes Verhaftung war Teil einer reichsweiten, großangelegten Verhaftungswelle, der Aktion „Gewitter“. Sie wurde als Reaktion auf das Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 propagiert, war allerdings bereits vorher geplant worden. Sie richtete sich nicht nur, aber auch gegen die Akteure des 20. Juli und ihr Umfeld.

Tatsächlich ging es darum, angesichts der sich den deutschen Grenzen nähernden Kriegsfronten, jedes Widerstandspotential auszuschalten. Bereits bei Kriegsbeginn im September 1939 hatte eine vergleichbare Verhaftungswelle stattgefunden. Reichsweit wurden am 22./23. August 1944 etwa 5.000 frühere Reichstags-, Landtags- und Kreistagsabgeordnete sowie Stadtverordnete, vor allem von SPD und KPD, in Konzentrationslager und Haftanstalten verbracht. Die Verhaftungen erfolgten unabhängig davon, ob die Betreffenden im Verdacht standen, Widerstand zu leisten. Ein Teil der Festgenommenen kam nach kurzer Zeit wieder frei. Emil Lange hatte dieses Glück nicht. Er wurde zuerst in eine hallesche Haftanstalt und später in das Konzentrationslager Sachsenhausen eingeliefert.

Aus Sachsenhausen erhielt seine Familie am 17. September 1944 einen Brief - das erste Lebenszeichen Emil Langes nach vier Wochen. Es war ein Privileg der politischen Häftlinge, dass sie alle 14 Tage einen Brief an ihre Familie schreiben durften. Juden, Sinti und sowjetischen Kriegsgefangenen war dies nicht gestattet.
Die Briefe mussten auf einem Formularbriefbogen geschrieben werden, der Raum war also begrenzt. Sie waren offen bei der Lagerleitung zum Versand abzuliefern und gingen durch die Postzensurstelle, die die Briefe abzeichnete. Entsprechend sind auch die sechs Briefe, die Lange aus dem Konzentrationslager nach Hause schickte, sehr zurückhaltend, was Langes eigene Situation betrifft.  Aus Langes Briefen spricht das Wissen um die Zensur, aber auch das Bemühen, die Sorge der Familie um seine Lage nicht noch zu vergrößern.

Am 17. September schrieb er, „… durch besondere Umstände war es mir nicht möglich eher zu schreiben, und ich nehme an, daß Ihr Euch keine Sorgen um mich gemacht habt. Mir geht es gut, bin gesund u. munter, gleiches nehme ich auch von Euch allen an. [….] Ich nehme an, daß auch diese Zeit vergeht und ich bald wieder unter Euch sein werde.

Am 1. Oktober schrieb er „…ich bin nun bereits 6 Woh. fort und kann Euch berichten, daß es mir noch gut geht.“. Der Brief vom 15. Oktober 1944 und alle weiteren enthielten gar keine Bemerkungen mehr zu seinem Gesundheitszustand.

Umso mehr ging es um Lebensmittel und Anfang Dezember auch um Handschuhe und einen Schal, den er sich erbat. Weite Teile des knappen Raums auf den Briefvordrucken verwendete er auf Fragen nach dem Befinden von Frau und Kindern und der Übermittlung von Grüßen an Verwandte und Freunde. „Alle meine Lieben! Weihnachten rückt immer näher und es wird das erste Mal sein, daß wir das Fest nicht zusammen verleben können. Euch wünsche ich, die Feiertage gesund u sorgenlos zu verleben, wenn ich auch nicht unter Euch sein kann. Ebenso beste Wünsche Verwandten u. Bekannten. Freuden kann ich Euch nicht bereiten, mögen meine Zeilen dies ersetzen.

Emil Langes letzter Brief aus dem KZ Sachsenhausen stammt vom 7. Januar 1945.  Es war das letzte Lebenszeichen des 58-Jährigen.

Quellen

Der Text ist die vom Zeit-Geschichte(n) e.V. bearbeitete Fassung eines Aufsatzes von Dr. Andreas Schmidt über das Leben Emil Langes:
 „…denkt auch an mich und laßt Euch alle herzlich grüßen und küssen…“
Vor 75 Jahren starb der Sozialdemokrat Emil Lange in nationalsozialistischer Haft. Erschienen in: Beiträge zur Geschichte der Sozialdemokratie in Sachsen-Anhalt. Heft 9.
Herausgegeben vom SPD-Landesverband Sachsen-Anhalt, Historische Kommission. Halle 2019.
Abrufbar unter https://spd-sachsen-anhalt.de/files/geschichte/Hiko_Heft_9.pdf

Transkription der Briefe Emil Langes aus dem KZ: Dr. Nicole Ramin

Fotos und Briefe: Nachfahren von Emil Lange/Dr. Andreas Schmidt

Stadtarchiv Halle

Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen