Große Märkerstraße 13


Hier wohnten Anna Heymann geb. Kragen, Ludwig Heymann, Brigitte Klawanski, Leo Lipper, Hanna Lipper geb. Gänger, Heinrich Lipper, Awram Librach, Gutta Librach geb. Epstein und Heinz Riesel

Brigitte Klawanski war fünf Jahre alt, als sie am 3. Juni 1942 im Vernichtungslager Sobibor ermordet wurde. In ihrem kurzen Leben gab es nie einen Ort, der ihr ein sicheres Zuhause geboten hätte. Ihre Mutter Sonja Klawanski war selbst schon eine Verfolgte, als sie ihrer Tochter im Alter von 21 Jahren das Leben schenkte.

Sonjas Vater Simon Klawanski, am 19. Februar 1894 in Wilna geboren, galt als „staatenlos“. Seine Ehefrau war bei der Geburt ihres dritten Kindes gestorben. 1939 erfuhr der Schlosser Simon Klawanski, dass seine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland nicht länger gültig sei. Es gelang ihm, Ausreisepapiere für sich, seine Tochter Sonja und seine anderen zwei Kinder zu besorgen, allerdings nur nach Shanghai, das als sehr unsicher galt. Ihre zweijährige Tochter nahm Sonja Klawanski nicht mit auf die gefährliche Reise, sondern vertraute sie, wahrscheinlich in der Hoffnung, Leben und Gesundheit der Tochter zu schützen, der Obhut eines Kinderheims des Jüdischen Frauenbunds in Neu-Isenburg an. Als die jüdischen Kinderheime 1942 aufgelöst und die Kinder in Vernichtungslager deportiert wurden, blieb Brigittes Leben vorerst verschont. Sie wurde von der Jüdischen Gemeinde Halle aufgenommen und Anna Heymann, Ehefrau des Kantors und Lehrers der jüdischen Gemeinde, zur Pflegschaft übergeben. Aber auch hier blieb ihr nur wenig Lebenszeit. Auf Anordnung der Gestapo musste Anna Heymann das Pflegekind mit sich nehmen, als man sie gemeinsam mit weiteren 153 Juden von Halle nach Sobibor brachte. Dort wurden sie noch am Ankunftstag, dem 3. Juni 1942, mit Gas ermordet.

Anna Heymann wurde am 30. Juli 1896 in Berlin geboren und erlernte den Beruf der Krankenschwester. 1937 heiratete sie den Lehrer und Kantor der Jüdischen Gemeinde in Halle,s Ludwig Heymann (*1875 in Kirchberg), der damit die zweite Ehe einging, nachdem seine erste Frau Bertha geborene Goldberg 1936 verstorben war.

Ludwig Heymann nahm sich am 30. April 1942 mit 66 Jahren das Leben. Seine Tochter Irmgard aus erster Ehe und deren Familie wanderten in die USA und nach Israel/Palästina aus.

Awram Librach war 1916 mit seiner Frau Gutta nach Halle gezogen. Bis 1919 war er Arbeiter in der Saline, später machte er sich als Händler selbstständig. In der „Polenaktion“, in der Nacht vom 28. auf den 29. Oktober 1938, wurde das Ehepaar Librach, gemeinsam mit mindestens 120 weiteren Juden, ins deutsch-polnische Grenzgebiet gebracht und über den Grenzstreifen nach Polen getrieben. Dies betraf diejenigen Juden, die aus Polen zugezogen und ohne deutsche Staatsbürgerschaft waren.
Awram und Gutta Librach nahmen in ihrem Geburtsort Lodz Zuflucht. Nach Einmarsch der Deutschen Wehrmacht internierte man sie im Ghetto von Lodz, wo Awram Librach 1941 zu Tode kam. Seine Frau starb am 21. September 1942 im Vernichtungslager Chelmno (Kulmhof). Beide wurden nur 50 Jahre alt. Ihre in Halle geborenen Kinder Sophie und Felix gelangten über Vermittlung einer jüdischen Hilfsorganisation noch rechtzeitig nach Palästina in einen Kibbuz.
Das rettete ihnen das Leben. Über das Schicksal des ältesten Sohnes Martin existieren widersprüchliche Angaben. Er war wegen seiner schweren Zuckerkrankheit für die Übersiedlung nach Palästina abgelehnt worden, hatte die Reise dann aber möglicherweise selbst organisiert. Bekannt ist nur, dass er in Palästina an den Folgen seiner Krankheit starb.

Leo Lipper (*1891 in Bohorodczany/Polen) und seine Frau Hanna (*1893 in Leipzig) führten gemeinsam einen Textilwarenhandel mit mehreren Geschäften in Halle. Sie hatten neben zwei eigenen Kindern, Gerda (*1920) und Heinrich (*1921), auch Heinz Riesel, den Sohn von Hanna Lippers verstorbener Schwester, in ihrer Obhut. Auch die Schwestern von Heinz, Senta (→Geiststraße 15) und Frieda Riesel (→Mühlweg 36), wurden nach dem Tod ihrer Eltern von Schwestern ihrer Mutter aufgenommen. Leo Lipper versuchte vergeblich die Ausreise der Familie nach Argentinien zu organisieren. In der Nacht vom 27. auf den 28. Oktober 1938 wurde das Ehepaar jedoch gemeinsam mit den Kindern Heinrich und Heinz sowie mindestens 120 weiteren Juden von Halle ins deutsch-polnische Grenzgebiet gebracht.

Sohn Heinrich („Heini“) Lipper hatte sich zuvor in Halle einer Jugendgruppe angeschlossen, die sich auf die Auswanderung nach Palästina vorbereitete. Diesen Plänen setzte die Vertreibungsaktion vom 27. auf den 28. Oktober 1938 ein jähes Ende. Leib Herschkowicz, Kantor der jüdischen Gemeinde in Halle, berichtet darüber in einem Brief: „auch Heini Lipper war dabei, so wie er von der Arbeit gekommen ist in die Langstiefel […] so dreckig wie er war musste er ohne sich von der Arbeit zu Waschen gleich mit antreten“.

Die damals 18-jährige Gerda („Gila“) Lipper war am 27. Oktober 1938 nicht in Halle und entging so der Vertreibung. Es gelang ihr mit Hilfe jüdischer Hilfsorganisationen über England nach Palästina auszureisen. Zum Zeitpunkt der Verlegung der Gedenksteine lebte sie noch immer in Israel.

Leo, Hanna und Heinrich Lipper sowie Heinz Riesel fanden vorerst in Kolomea (Galizien) eine Bleibe. Nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht wurde die Familie 1941 erschossen. Leo Lipper war 50, seine Frau 48, Sohn Heinrich 20 und Heinz 15 Jahre alt.

Quellen

Stadtarchiv Halle (Saale), Nachlass Gudrun Goeseke

Volkhard Winkelmann und ehemaliges Schülerprojekt "Juden in Halle" des Südstadt-Gymnasiums Halle (Hrsg.): Unser Gedenkbuch für die Toten des Holocaust in Halle. 3. Auflage (2008)
Eintrag zu Anna Heymann
Eintrag zu Ludwig Heymann
Eintrag zu Leo Lipper
Eintrag zu Hanna Lipper
Eintrag zu Heinrich Lipper
Eintrag zu Awram Librach
Eintrag zu Gutta Librach
Eintrag zu Heinz Riesel