Fritz-Hoffmann-Straße 37


(ehemals Werderstraße 36)

Hier wohnten Martin und Stephanie Feuchtwanger geb. Cahn

Martin Feuchtwanger wurde am 18. Dezember 1886 in München in eine jüdisch-orthodoxe Familie geboren, die schon seit vielen Generationen in Bayern lebte. Er hatte acht Geschwister: Lion, Martin, Ludwig, Fritz, Franziska, Bella, Henny, Berthold und Martha. Seine Eltern waren Johanna und Sigmund Aaron Meir Feuchtwanger. Der Vater war Unternehmer und besaß eine Margarinefabrik. Die Kinder besuchten zunächst eine katholische Schule, die Söhne wechselten später auf ein Gymnasium. Die religiöse Ausbildung erhielten die Kinder durch den Gemeindekantor.

Nach dem Abitur studierte Martin Literaturwissenschaft, Philosophie und Nationalökonomie in München und Berlin, wo zeitgleich auch sein später berühmt gewordener Bruder Lion studierte. Die Brüder lösten sich von der orthodoxen Familientradition und genossen die Freiheit des Studentenlebens. Anders als Bruder Lion, der promovierte und eine Habilitation begann, brach Martin das Studium ab, bewarb sich als Volontär bei verschiedenen Zeitungen in ganz Deutschland und erhielt eine Anstellung bei der Saalezeitung in Halle. In kurzer Zeit stieg er zum Theaterkritiker und Feuilletonredakteur auf und schrieb Artikel auch für überregionale Zeitungen.

1910 heiratete er in München Stephanie Cahn (*26.8.1888 in Wertheim am Main). Stephanies Eltern Emil und Selma Cahn stammten aus Stuttgart, wo Emil Kantor in der Synagoge war. Sie zogen 1900 nach München. Stephanie hatte zwei Schwesern und einen Bruder. 1912 wurde Martin und Stephanie Feuchtwangers Sohn Klaus in Halle geboren.

Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs meldete sich Martin Feuchtwanger freiwillig als deutscher Soldat und brachte es bis zum Offiziersanwärter. Als Jude blieb ihm aber eine Offizierslaufbahn verschlossen. Im Januar 1920 kehrte er aus französischer Gefangenschaft nach Halle zurück und setzte seine Tätigkeit in der Redaktion der Saalezeitung fort. Als der Verlag die Besitzer wechselte, kündigte die neue, deutschnational eingestellte Leitung mehreren Mitarbeitern. Martin Feuchtwanger erhielt durch Klage drei Jahresgehälter als Abfindung, die er zum Ausbau seiner Selbstständigkeit nutzte. Neben der bereits 1921 gegründeten Feuilletonkorrespondenz „Unterm Strich“ gab er „Die Frau und ihre Welt“ heraus, 1923 kam die „M. F. Korrespondenz“ hinzu. „Für mich begannen die arbeitsreichsten Jahre meines Lebens.“, schrieb Feuchtwanger später.

Es folgten weitere Korrespondenzen (regelmäßig erscheinende Nachrichtendienste für Zeitungen): „Freude und Humor“, „Lokalspitzenkorrespondenz“, „Vom Karneval des Lebens“, „Die Lustige Welt“, „Sportkorrespondenz Feuchtwanger“, „Haus und Garten“, „Maternkorrespondenz Feuchtwanger“, „Illustrierter Sonntag“ und andere. Die insgesamt 17 Korrespondenzen wurden nicht nur in deutschsprachige Länder verkauft, sondern auch nach England, Frankreich, der Tschechoslowakei, Belgien, Holland, Rumänien, Argentinien, Brasilien und in die USA.
Es folgte die Gründung des „Verlag Martin Feuchtwanger“, später „Fünf Türme Verlag“, der Fortsetzungsromane für Zeitungen, Romane und Zeitschriften vertrieb. „Es war kein kleiner Betrieb mehr. Ich konnte dies alles in meiner Privatwohnung [Große Steinstraße 56] nicht mehr bewältigen“.
1927 wurde am Fischerplan eine eigene Druckerei eingerichtet und in der heute nicht mehr existenten Königstraße 84 neue Büroräume angemietet. Seit 2011 erinnert eine Gedenktafel am Haus Franckestraße/Ecke Rudolf-Breitscheid-Str. an Martin Feuchtwanger und seine Verlagstätigkeit in Halle.

Nach dem Tod der Mutter in München folgte Bella verh. Traubkatz ihrem Bruder nach Halle und arbeitete in seinem Verlag. Ehefrau Stephanie lebte seit 1928 getrennt von ihrem Mann in Berlin und betreute das dortige Verlagsgeschäft. Um 1930 bezog Martin Feuchtwanger eine große Villa mit Garten in Diemitz.
Die Machtübernahme der NSDAP 1933 bewirkte auch im Zeitungs- und Verlagswesen große Veränderungen. In seiner Autobiographie berichtet Feuchtwanger: „Die großen, die führenden Zeitungen, die Druckereien, die Verlagsgebäude wurden den Besitzern weggenommen, Juden durften nicht mehr Redakteure und Journalisten sein, Goebbels bestimmte, welche Zeitungen sofort ihr Erscheinen einzustellen hatten und welche er seinen Freunden schenkte.“

Martin Feuchtwanger wurde mehrmals festgenommen, seine Geschäftsräume wurden durchsucht, wie auch sein Haus und die Wohnung seiner Schwester Bella. Wegen des steigenden Drucks und der Perspektivlosigkeit für Beruf und Leben in Deutschland bereitete er seine Auswanderung vor, aus der aber eine Flucht wurde: Ein Brief des Propagandaministeriums verlangte den Verkauf des Betriebes und es wurde ein Vorwurf der „Rassenschande“ mit Mitarbeiterinnen gegen ihn erhoben. Drei Mitarbeiter suchten ihn nachts auf und warnten vor drohender Verhaftung. Am nächsten Morgen floh Martin Feuchtwanger über die Schweiz nach Prag in die damals noch freie, demokratische Tschechoslowakei.

1935 musste er zwangsweise den halleschen Verlag an das NSDAP-Mitglied Maximilian A. Klieber verkaufen. Den nur geringen Verkaufserlös bekam er nicht ausbezahlt.
In Prag gründete er erfolgreich einen neuen Verlag mit Zweigbetrieb in Paris, die „Edition Olympia“, die er regelmäßig besuchte. Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht und der Errichtung des „Protektorats Böhmen und Mähren“ wurde Martin Feuchtwanger von der Gestapo verhaftet und misshandelt.
Trotzdem gelang ihm 1939 die illegale Überfahrt nach Palästina. Auf dieser Reise lernte er Trude Loewy kennen. Aus dieser Verbindung gingen die Söhne Josef und Benjamin hervor. Die „Edition Paris“ rief er in Tel Aviv erneut ins Leben, allerdings konnte er an seine verlegerischen Erfolge in Halle und Prag nicht mehr anknüpfen. Um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, betrieb er daher als Koch in seiner Wohnung einen privaten Mittagstisch. 1952 starb er 65-jährig in Tel Aviv.

Seiner Schwester Bella Traubkatz, die ihrem Bruder nach Halle und Prag gefolgt war, gelang es trotz großer Bemühungen nicht mehr, Prag in Richtung Palästina zu verlassen. Sie wurde 1943 ins „Ghetto” Theresienstadt deportiert (STOLPERSTEIN →Geiststraße 1).

Stephanie Feuchtwanger zog nach Martins Flucht 1933 wieder nach Halle. Sie wohnte im Haus in Diemitz und übernahm die Geschäftsleitung des Verlags. Nach dessen Zwangsverkauf 1935 folgte sie ihrem Sohn Klaus nach Wien, wo er für den Vater eine Zweigniederlassung des Prager Verlags führte. 1938 wurde Klaus kurzzeitig verhaftet und es drohte weitere Verfolgung, doch es gelang ihm, nach Paris zu flüchten. Dorthin folgte ihm auch seine Mutter Stephanie. Klaus heiratete die Französin Rose-Andree Picamilh und emigrierte im Herbst 1939 in die USA. Stephanie und ihre hochschwangere Schwiegertochter warteten noch auf ihr Visum und gelangten gemeinsam im April 1940 auf der „SS Scythia“ nach New York. Dort lebte Stephanie bis zu ihrem Tod 1971.

Ihre Mutter starb bereits 1941, Vater Emil Cahn wurde aus Stuttgart deportiert und starb 1943 mit 81 Jahren im „Ghetto” Theresienstadt.

Zum Zeitpunkt der Verlegung des Gedenksteins 2020 lebte Michele Adler, die Enkelin von Stephanie und Martin Feuchtwanger, in der Schweiz. Sie hat fünf Kinder und zahlreiche Enkel.

Quellen

Stadtarchiv Halle (Saale), Nachlass Gudrun Goeseke

Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Ludwigsburg, EL 350 I Landesamt für die Wiedergutmachung Baden-Württemberg: Einzelfallakten

Adreßbuch für Halle an der Saale und Umgebung. Halle. 1906-1926

Hallesches Adreßbuch. Halle. 1927-1934

Martin Feuchtwanger: Zukunft ist ein blindes Spiel. Erinnerungen. Frankfurt a. M. 1992

Ilse Hoppe: Erinnerungen an den Korrespondenzverlag Martin Feuchtwanger, S. 453-471; in: 300 Jahre Juden in Halle. Leben – Leistung – Leiden – Lohn. Halle (Saale) 1992

Roland Jaeger: Martin Feuchtwanger und sein Exilverlag ›Edition Olympia‹ in Tel Aviv (Download)

Heike Specht: Die Feuchtwangers. Familie, Tradition und jüdisches Selbstverständnis. Göttingen 2006

Korrespondenz des Zeit-Geschichte(n) e.V. mit Michele Adler und weiteren Nachfahren

Fotos: Martin Cahn (Cambridge), University of Southern California (USC) sowie Michele Adler