IN MEMORIAM
Hilke „Hille“ Bohley  geb. Volland
* 30.April 1943 in Halle
+ 3. Februar 2024 in Halle

 

Ein Nachruf von Heidi Bohley

Hille Bohley gehört zu den Frauen, deren Namen selten in den Aufarbeitungsgeschichten aus Diktaturen auftauchen. Dabei waren oft gerade sie es, die den Raum für den „Versuch, in der Wahrheit zu leben“ (Vaclav Havel) absicherten.

Bei „Kalle und Hille“ gingen viele Menschen ein und aus. Zuerst in der Friedenstraße, später im Kröllwitzer Kirschbergweg war immer Platz für Diskussionen, Musik und diverse Feste. Bei Bedarf war für die Besucher auch stets Platz am runden Esstisch –  zwischen den Eltern und ihren fünf Kindern. Möglich war so ein Leben, weil die organisatorischen Fäden für das vielfältige Geschehen bei Hille zusammenliefen und souverän von ihr gemanagt wurden. Sie war es, die mit oft einfachen Mitteln, großen Töpfen und Kannen alle beköstigte und die Räume mit sicherem Blick  fürs Schöne gestaltete. Dort konnte man sich wohlfühlen. Alles atmete den Geist von Großzügigkeit und innerer Freiheit.

Ein Familienfoto von 1976 zeigt Hille Bohley inmitten ihrer Kinderschar, aufgenommen kurz vor der Verhaftung ihres Mannes im Januar 1977:

Nach der Biermann-Ausbürgerung 1976 suchte die Stasi  nach den Urhebern eines Flugblatts, das etliche hallesche Bürger am 23. Dezember 1976 in ihren Briefkästen gefunden hatten. Karl  Bohley hatte zwar nichts mit dieser Protestaktion zu tun, stand aber schon länger unter Beobachtung der Staatssicherheit. Im Rahmen der Fahndung nach den Urhebern der Flugblätter schlug die Staatsmacht zu und setzte den Störer sozialistischer Friedhofsruhe fest.*

Die erste Festnahme morgens 6 Uhr zur „Klärung eines Sachverhalts“ wehrte die Familie noch an der Wohnungstür ab. Doch zwei Tage später fingen die Genossen der Staatssicherheit Karl Bohley auf dem Weg zur Arbeit ab, zerrten ihn in ein Auto und brachten ihn in den ROTEN OCHSEN.

Die Ehefrau ahnte davon nichts und wurde erst durch eine Hausdurchsuchung ins Bild gesetzt. Trotz Angst und Aufregung ließ sie sich nicht einschüchtern. Geistesgegenwärtig schrieb  sie den Text der Anordnung der Hausdurchsuchung, Namen, Dienstausweisnummer und Telefonnummer des Staatsanwalts auf, notierte 79 beschlagnahmte „Positionen“ –  Briefe, Notizzettel, Zeitungsausschnitte und ein Tonband.  Amtlicher Kommentar des Beschlagnahmeprotokolls: „Die auf diesem Tonband aufgezeichnete Veranstaltung des Wolf Biermann in der Kölner Stadthalle wird gemäß §13 Abs. 4 des Gesetzes über die Aufgaben und Befugnisse der DVP vom Untersuchungsorgan gelöscht.“

Hille Bohley informierte den Betrieb ihres Mannes. Eine Bürgschaftserklärung wurde von der Leitung abgelehnt, aber etliche Kollegen solidarisierten sich. Ein Spitzel berichtete: „In der Gaststätte ‚Friedensklause‘ haben sich Kollegen […] zusammengefunden und eine finanzielle Sammlung für Familie Bohley angeregt.“ Das  MfS vermerkt: „Maßnahmen zur Verhinderung derartiger Sympathiekundgebungen wurden über die Parteiorganisation und den staatlichen Leiter des Betriebes eingeleitet.“ Trotzdem gelang es Hille Bohley bei den Kollegen Unterschriften für ihren Mann zu sammeln. Die Solidaritätsaktionen setzten sich bis zur Gerichtsverhandlung am 3./4. März 1977 fort. Das MfS vermerkt ein „demonstratives Erscheinen fast aller Familienmitglieder und von Arbeitskollegen zu der Gerichtsverhandlung vor dem Verhandlungszimmer. Entgegen der Aufforderung des Vorsitzenden des Gerichtes räumten die Personen den Flur bzw. das Gebäude nicht.

Wegen frecher Bemerkungen gegenüber einem MfS-Mitarbeiter („Väterchen, weißt du denn nicht, was für Geld du verdienst? Das ist doch Blutgeld.“) wurde  Karl Bohley in nichtöffentlicher Verhandlung wegen „Staatsverleumdung“ zu sechs Monaten Haft verurteilt, die er auch absitzen musste, bevor er in die Bundesrepublik entlassen wurde. Die Familie stellte einen Ausreiseantrag auf Familienzusammenführung.

Während der Haft ihres Mannes erlebte Hille Bohley viel Unterstützung von Freunden und Familie. Im großen Garten am Haus im Kirschbergweg organisierte die „hallesche Szene“ eine Versteigerung mit Zauberern und künstlerischen Einlagen. Der Erlös ging an die Familie.

Mit souveränem Geschick organisierte Hille Bohley dann ganz allein die Übersiedlung des Hausstands mit fünf Kindern nach Westberlin inkl. aller staatlichen Schikanen, die so eine Ausreise begleiteten.

Der große runde Tisch stand nun in Berlin-Schöneberg und auch dort wurden „Hille und Kalle“ Anlaufpunkt für ausgereiste oder in Haft vom Westen freigekaufte Freunde und Bekannte.  Die Kinder wuchsen heran und nach Eintritt ins Rentenalter verlegte das Ehepaar seinen Wohnsitz wieder nach Halle.

Am 3. Februar 2024 ist Hille Bohley begleitet von Mann und Kindern zu Hause gestorben.

 

* Udo Grashoff, Erhöhter Vorkommnisanfall: Aktionen nach der Biermann-Ausbürgerung im Bezirk Halle. Halle 2001. Seite 42-53.
https://www.zeit-geschichten.de/wp-content/uploads/2019/09/erh%C3%B6hter-vorkommnisfall.pdf