"Russenkasernen" in Halle

neues Forschungsprojekt

Sie waren da, aber es gab kaum Kontakt. Etwa 15 000 „Russen“ lebten in den beiden halleschen Kasernen in der Heide und in Wörmlitz. Bis sie 1991 abgezogen wurden.
Manchmal ärgerte man sich zu DDR-Zeiten über die endlosen Militärkolonnen, die die Straßen verstopften. Manchmal roch man den Maiglöckchenduft in der Nähe einer hochtoupierten Offiziersfrau. Oder sah die Mädchen in den Schulkleidern mit weißen Schürzen und den großen Schleifen an den Zöpfen in der Straßenbahn. Doch ein privater Kontakt war von offizieller Seite unerwünscht.
Es gab die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, in deren Rahmen reglementierte Besuche ausgewählter Delegationen in der Kaserne zu den hohen Feiertagen (Oktoberrevolution, Tag der Befreiung) stattfanden. Die Schüler schrieben russische Briefe und bekamen „Snatschki“ (Briefmarken und Abzeichen) zurückgeschickt.
Ansonsten war die Russenkaserne eine geheime Stadt in der Stadt, wo man vielleicht im „Magasin“ einkaufen konnte, das sich am Rande oder außerhalb der „geheimen Stadt“ befand. Doch es gab Gerüchte über Gerüchte.
Etwa über die Soldaten mit ihren Kindergesichtern unter dem kahlgeschorenen Schädel. Dass sie sehr streng behandelt wurden, verprügelt und, dass sie das manchmal nicht mehr aushielten. Der bekannte Krimiautor Bernd Kaufholz erzählte in seiner Geschichte „Der Amoklauf des Sowjetsoldaten“ einen solchen Fall in Magdeburg. In den 1970er Jahren soll in Halle Ähnliches geschehen sein: Ein Soldat war mit einem Schützenwagen aus der Garnison ausgebrochen und soll gegen den Wasserturm Nord geknallt sein, so dass eine der großen Kugeln am Fuß des Turms zersprang, erzählt man sich.
Mancher weiß auch von privaten Begegnungen jenseits der staatlich reglementierten zu berichten, etwa von Schwarzgeschäften mit Benzin. Von einer gemeinsamen Silvesterfeier mit sowjetischen Offiziersfamilien handelt ein Leserbrief in der „Freiheit“, 1973 in Halle Neustadt (Block 204, im Durchgang zwischen Haus 1 und 2 im sechsten Stock). Und nach dem Fall der Mauer versuchten sich Hallenser 1990 an einer wirklichen und freiwilligen Begegnung mit den „Russen“ – mit der Aktion „Weihnachten in der Russenkaserne“.

Wir wollen wissen:
Wer erinnert sich an eines der beschriebenen Ereignisse. Wer hat andere Erlebnisse, wer hat vielleicht sogar heute noch Kontakt zu den ehemaligen Soldaten? Wer hat Fotos von den Kasernen oder Begegnungen mit Soldaten?
Der Zeit-Geschichte(n) Verein sammelt diese Erlebnisse und Fotos für ein Buchprojekt mit der halleschen Autorin Simone Trieder (Letzte Veröffentlichungen: „Sinti in der DDR - Alltag einer Minderheit“ sowie „Unsere russischen Jahre: Die verschleppten Spezialistenfamilien“.) Frau Trieder hat bereits die meisten Interviews geführt, wir hoffen, dass wir bis Ende 2022 ein Manuskript vorliegen haben.