Der Kameramann Albert Ammer (1916-1991)

„Ich war mit Dreharbeiten für die DEFA in Halle beschäftigt, als der Volksaufstand am 17. Juni ausbrach. Ein Ereignis, welches wir schon lange erwarteten und wünschten. Mit meiner Kamera filmte ich das jubelnde Volk, wie wir es schon viele Jahre nicht mehr kannten. Die Befreiung der politischen Häftlinge aus dem Zuchthaus (...) Unruhen am Tor vom Zuchthaus ROTER OCHSE. Weiter Filmaufnahmen von der großen Demonstration. Russische Panzer griffen ein, riegelten die Stadt ab, aller Verkehr ruhte. Das waren die letzten Filmaufnahmen für Jahre für mich. Mit diesen wertvollen Filmaufnahmen konnte ich die Stadt nicht mehr verlassen (...) Am 18. Juni wurde ich verhaftet und lernte im ROTEN OCHSEN die Grausamkeiten des SSD (Staatssicherheitsdienst, Anm.) in der Zone kennen. Ich konnte mich zu keiner Schuld bekennen, da ein Kameramann immer berechtigt ist, besondere Ereignisse festzuhalten, zumal ich gezwungenermaßen diese Filme den Herrschern aushändigte. Nach ca. 5 Wochen musste ich zum Verhör. Immer nur in der Nacht. Nach 3 Monaten musste ich vor den Richter. Nur was gegen mich sprach, wurde zu Protokoll genommen. Das waren Lügen. Wer für mich sprach, musste sich gleich wieder setzen. Für mich gab es keine Verteidigung. Ich bekam 3 Jahre Zuchthaus, Einzug meiner Normalfilmkamera, Berufsverbot und Führerscheinentzug. Gnadengesuche waren erfolglos. Volle 3 Jahre musste ich absitzen. Die Haftzeit verbrachte ich in den Zuchthäusern Halle und Waldheim.“
Albert Ammer, Persönliche Aufzeichnungen 1962

Nach der Haftentlassung 1956 flüchtete Ammer über Berlin nach München. Dort war er für den Bayerischen Rundfunk noch 25 Jahre als Kameramann weltweit unterwegs. 1991 wurde Albert Ammer rehabilitiert und starb im Alter von 75 Jahren.

Ammers Originalfilmrollen vom 17. Juni 1953 sind bis heute verschollen, aber nach Öffnung der Stasi-Akten fanden sich Fotoabzüge in der Akte eines weiteren Verurteilten des 17. Juni 1953. Vermutlich wurden die Aufnahmen aus dem Film herausgeschnitten, um einzelne Teilnehmer des Aufstandes zu identifizieren, z.B. die Streikführer Rudolf Weber und Herbert Gohlke – beide wurden auf dem Hallmarkt in das „Zentrale Streikkomitee“ gewählt. Während Gohlke noch rechtzeitig flüchten konnte, wurde Weber am 23. Juni 1953 verhaftet und zu 10 Jahren Haft verurteilt. Nach Verbüßung der Strafe war der kriegsversehrte Rudolf Weber gesundheitlich schwer geschädigt. Er starb in den 80er Jahren in Halle.


Bilder können etwas erzählen. Und Bilder können gefährlich sein.
Alexander K. Ammer, Sohn Albert Ammers setzt sich mit der Geschichte seines Vaters auseinander. Wir sprachen im Mai 2023 mit ihm: "Für mich sind Bilder die Welt und die Aufgabe eines Dokumentarfilmers ist, die Welt in Bilder zu fassen."
Heute ist Bildschaffen so einfach, sagt Ammer, während man früher Zeit und schweres Gerät brauchte, um eine Szene perfekt festzuhalten. Alexander K. Ammer ist, wie sein Vater, ausgebildeter Dokumentarfilmer und mit dem Medium Film aufgewachsen. Seine Mutter war Meisterfotografin. Ihre Meisterprüfung machte sie am 16. Juni 1953. "Am 17. Juni wollte sie die bestandene Prüfung feiern und trug deshalb ein hübsches weißes Kleid." Aus dem Filmmaterial vom 17.Juni 1953 sind über 100 Bilder erhalten geblieben. Bilder, die Geschichte erzählen. "Mein Vater hat die Bilder in Szene gesetzt. Meine Mutter erzählte mir, dass sie gewunken hat und die Menschen auf den Straßen erwiderten ihr Winken. Eine Kamera war damals etwas Besonderes und erregte Aufmerksamkeit. Die Menschen sahen zu meinem Vater und er konnte ihre Freude über den Tag, das Gefühl des Aufbruchs festhalten. Bilder können etwas erzählen. Und Bilder können gefährlich sein. Mein Vater ist für Bilder von lachenden Menschen ins Gefängnis gegangen“.
„Wie konnte das passieren, nachdem er den Krieg überlebt hat.“ Diese Frage ließ den Sohn nicht los und er begann, sich intensiv mit dem Weg seines Vaters auseinanderzusetzen. Anhand der Bilder und Filme Albert Ammers, Tagebuchaufzeichnungen und Erinnerungen an Gespräche mit den Eltern, rekonstruierte er Ammers Lebensweg. Der biografische Roman folgt den Spuren deutscher und europäischer Geschichte vom ländlichen Thüringen durch den Weltkrieg in Italien, Griechenland und Frankreich. Er schildert wie Ammer den Aufbau der DDR filmisch und die Stunden des 17. Juni 1953 in Halle festhält.
Das Buch Alberts Bilder bleiben ist im April 2023 erschienen. Auf der Webseite des Publizisten Alexander K. Ammer sind weitere Informationen zum Buch zu finden.

Ab dem 17. Juni 2023 werden in einer Ausstellung in der Gedenkstätte Roter Ochse zahlreiche Bilder Albert Ammers gezeigt, manche zum ersten Mal.