Jugendhaus Halle

 

Der Zeit-Geschichte(n) e.V. erarbeitete im Jahr 2022 eine Dokumentation zur Geschichte des im Stadtteil "Frohe Zukunft" gelegenen Jugendhauses Halle und hat hierfür auch mit Zeitzeugen gesprochen. Das Forschungsprojekt wurde durchgeführt vom Historiker Dr. Udo Grashoff und gefördert von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

Offiziell bestand die Jugendhaftanstalt seit Herbst 1971, die ersten jugendlichen Häftlinge kamen aber erst im Sommer 1972 nach Halle. Mit zeitweise bis zu 1200 männlichen, meist jugendlichen Häftlingen aus der gesamten DDR war das „Jugendhaus“ eine zentrale Institution der Sozialdisziplinierung der DDR. Es war die modernste und größte Jugendhaftanstalt der DDR, und eines der wenigen Gefängnisneubauten.

Dr. Udo Grashoff arbeitet in diesem Buch die Geschichte des Jugendhauses Halle – des größten Jugendgefängnisses der DDR – auf Basis neuer Quellen auf.  Er beschreibt anschaulich und allgemeinverständlich den Haftalltag. Dieser war durch strikten Tagesablauf, militärischen Drill und Drangsalierung, aber auch durch Eigensinn der Inhaftierten gekennzeichnet. Machtmissbrauch durch Bedienstete und die oft mit brutaler Gewalt durchgesetzte Häftlingshierarchie konterkarierten den offiziellen Erziehungsanspruch. Die Untersuchung schildert die Lebensbedingungen der Inhaftierten und analysiert die Ursachen des Scheiterns der angestrebten Umerziehung.

Worunter die Opfer des Terrorregimes in der Jugendstrafanstalt „Jugendhaus Halle“ bis heute leiden, ist die Willkür und das Unwissen darüber, was ihnen widerfahren ist und warum. Seien es die willkürliche Brutalität der Bewacher, kursierende Gerüchte über Suizide, das Erleben von „Vorkommnissen“ wie dem Abtransport schwer verletzter Mithäftlinge, von denen man nie wieder etwas hörte, besondere Privilegien für einzelne Insassen, oder plötzliche Veränderungen im Disziplinarsystem – all dies waren zentrale Bestandteile der Repression. Insofern kann die Aufklärung von Gewalttaten, die Herausarbeitung von Entscheidungen und Maßnahmen, die Gegenüberstellung von Täter- und Opferperspektive, die Überprüfung von Gerüchten und die Bereitstellung von Fakten und Zahlen mit dazu beitragen, das damalige Geschehen auch für die Opfer transparenter und verstehbarer zu machen.

Das Buch richtet sich darüber hinaus auch an die breite Öffentlichkeit. Das „Jugendhaus“ ist in der lokalen und überregionalen Erinnerungskultur bisher kaum sichtbar. Die Publikation soll nicht nur an die Geschehnisse erinnern, sondern zudem auch die Grundlage für eine öffentliche Befassung in der Stadtgesellschaft bieten.

Udo Grashoff
Jugendhaus Halle
„Die Schlägerei hört einfach nicht auf“. Gefängnisalltag (1971–1990)
Mit Fotografien von Marcus-Andreas Mohr
Herausgegeben vom Verein Zeit-Geschichte(n)
Edition Zeit-Geschichte(n), Bd. 9
ISBN 978-3-96311-788-6

Das Buch ist ab Mitte Oktober 2023 im Buchhandel oder über den mitteldeutschen verlag erhältlich: https://www.mitteldeutscherverlag.de/geschichte/kulturgeschichte/grashoff,-udo-die-schl%C3%A4gerei-h%C3%B6rt-einfach-nicht-auf-detail


Die Entstehung des Buches wurde gefördert von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, der Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und dem Hannah Arendt Institut für Totalitarismusforschung.

Die Buchpremiere fand am 10.11.2023 in der Tanzbar Palette in Halle statt: 

Vor fast vollem Haus haben wir die  Publikation über das "Jugendhaus Halle" vorgestellt. Der Autor und Vorsitzende unseres Vereins, Dr. Udo Grashoff hielt einen kurzweiligen Vortrag zu den wichtigsten Erkenntnissen seiner Forschungsarbeit. Im Anschluss schilderte der Zeitzeuge Ralf Steeg in sehr berührender Weise seine Zeit im Jugendhaus. Steeg war dort aufgrund eines Fluchtversuches inhaftiert und engagierte sich seit 2015 für die Aufarbeitung der Geschehnisse im "Jugendhaus". Er betonte, wie wichtig es sei, dass es wissenschaftliche Studien wie diese gebe. Denn ehemaligen Häftlingen wurde von ihrem Umfeld oft nicht geglaubt, was ihnen widerfahren ist - nun gibt es dafür die Bestätigung aus der Wissenschaft, ein Buch mit Dokumenten und Belegen. Auch das Gefühl, selbst etwas zur Aufarbeitung beigetragen zu haben, beschrieb er als wichtige Motivation für sich und andere ehem. Häftlinge, die als Zeitzeugen für Interviews zur Verfügung gestanden hatten.

Wir würden uns freuen, das Buch auch an anderen Orten vorstellen zu können, denn die Häftlinge des Jugendhauses Halle kamen aus der gesamten DDR. Melden Sie sich gern bei uns, wenn Sie daran Interesse haben.

Links zum Thema:

Interview mit Dr. Udo Grashoff bei Radio Corax Halle

Blogbeitrag von Juna Grossmann auf www.irgendwiejuedisch.com: Jugendhaus Frohe Zukunft Halle – eine Rückkehr nach 36 Jahren

Der Hintergrund zum Roman von Grit Poppe „Schuld": Interview von Grit Poppe mit Stefan Lauter über seine Erfahrungen in „Jugendhäusern“

Berliner Zeitung v. 13.1.2021 (Bezahlschranke): Mit 17 in der Haftanstalt „Frohe Zukunft“: „Es war Zwangsarbeit, reiner Terror“

Ein Radiofeature von Axel Reitel, MDR 2003: Selbsterziehung - Jugendstrafvollzug in der DDR

Axel Reitel: Jugendstrafvollzug in der DDR am Beispiel des Jugendhauses Halle. Publikation von 2006.

Axel Reitel: „Frohe Zukunft“ – Keiner kommt hier besser raus. Strafvollzug im Jugendhaus Halle.
Reihe Sachbeiträge Nr. 21 der Landesbauftragten für die Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in Sachsen-Anhalt 2002. Zum kostenfreien Download unter https://aufarbeitung.sachsen-anhalt.de/service/broschueren-sachbeitraege